So fühlt es sich an, hochsensibel zu sein: Betroffene berichten über ihr Leben mit ihrer Hochsensibilität und darüber, wie sie sich selbst helfen, den Alltag zu bewältigen.
Tiktoks zum Thema Hochsensibilität trenden zurzeit. Auf einen Artikel von 20 Minuten haben sich verschiedene Betroffene gemeldet. Wir konnten mit zwei Frauen über ihren Alltag als hochsensible Personen sprechen.
Elena, 24, Journalistin
Auch Elena ist hochsensibel. Laut ihr kann sich das in verschiedenen Verhaltensmustern zeigen. «Ich überdenke immer alles zweimal und sehe Zusammenhänge schnell. Auch nehme ich zwischenmenschliche Dinge stark wahr.» Für Elena wurde die Hochsensibilität zum Thema, als sie beinahe an einem Burn-out erkrankte.
Die Luzernerin hat sich intensiv mit sich selbst auseinandergesetzt und mehrere Selbsttests gemacht: «Meistens zeigten die Ergebnisse, dass ich hochsensibel bin. Aber ich habe das nicht mit psychologischer Einschätzung bestätigen lassen.»
«Es tut weh, wenn Mitmenschen mich als anstrengend empfinden»
Die Reizüberflutung ist bei Elena nicht immer gleich ausgeprägt: «Wenn ich fit bin und genug geschlafen habe, dann geht alles besser. Dann geht auch ein Open Air, das mich in einer anderen Situation auch schon überfordert hat.»
Gerade in unserer schnelllebigen Zeit sei es aber nicht immer einfach, mit einer Hochsensibilität umzugehen: «Von einem Hoch kann ich sehr schnell in ein Tief rutschen.»
Dass die junge Journalistin ihre Emotionen nicht immer kontrollieren kann, empfinden ihre Mitmenschen als anstrengend: «Es ist verletzend, so etwas zu hören. In solchen Momenten habe ich das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.»
Elena kann mittlerweile sehr gut mit ihrer Hochsensibilität leben: «Als ich noch nichts davon wusste, habe ich mich stark unter Druck gesetzt. Aber eigentlich ist Hochsensibilität etwas mega Schönes, denn ich spüre Menschen um mich herum und weiss, was sie brauchen.»
Das helfe, dass Hochsensibilität in ihrem Umfeld mittlerweile akzeptiert sei. «Ich kann über meine Gefühle sprechen. In der Gesellschaft wird es aber manchmal als Schwäche angesehen, weil hochsensible Menschen vermehrt Pausen und Ruhe brauchen.» Dass sie deswegen weniger leisten, glaubt Elena nicht.
Neue Energie schöpft die junge Luzernerin bei einem Spaziergang im Wald: «Mir hilft es am meisten, wenn ich totale Ruhe habe, so bin ich nah bei mir.»
Stéphanie, 25, Kinderbetreuerin
«Die Hochsensibilität kannst du nie ablegen, du hast nie Ruhe», sagt Stéphanie. Die 25-jährige St. Gallerin leidet seit ihrer Jugend an massiven Reizüberflutungen. Was zu Beginn eher schleichend gekommen sei, habe sich bis heute verschlechtert. Auch wenn Hochsensibilität laut Experten keine Krankheit ist, fühlt es sich für Stéphanie so an.
Arbeiten kann die gelernte Fachfrau Betreuung nicht mehr. «Ich brauche extrem viel Schlaf. Eigentlich möchte ich gerne Sport treiben oder mich mit Leuten treffen, aber mein Körper ist überfordert mit all diesen Reizen.»
«Ich kann nicht ins Ausland oder an Flughäfen»
Sobald mehr als drei Personen in einem Raum sind, hat die Kinderbetreuerin starke Reizüberflutungen. «Ich kann nicht ins Ausland oder an Flughäfen. Wenn ich doch gehen möchte, muss ich im schlimmsten Fall damit rechnen, eine Panikattacke zu bekommen.» Auch ein Konzertbesuch ist für Stéphanie eine Seltenheit: «Ich kann das dann schon durchboxen – mit Medikamenten. Aber ich fühle mich nach dem Konzert oft schlapp und es schlägt mir auf die Psyche.»
Stéphanie ist viel allein und fühlt sich in ihrem Leiden nicht ernst genommen. Das spiegelt sich auch in ihrem psychischen Zustand wider. «Eigentlich alles, was ich gerne gemacht habe, kann ich jetzt nicht mehr machen. Ich war sportlich und traf mich gerne mit Freunden.» Heute kann sie sich nur ein- bis zweimal im Jahr mit ihrer besten Freundin treffen, denn auch solche Verabredungen können Stéphanie überfordern.
Die 25-Jährige leidet zusätzlich an einem Fatigue-Syndrom. Sie kämpfe nun schon seit vier Jahren für eine IV-Rente. «Hochsensibel zu sein, ist nicht wie ein gebrochenes Bein, das irgendwann wieder heilt. Ich bin 24/7 hochsensibel.» Sie wünscht sich, dass Hochsensibilität als Krankheit definiert, ernst genommen und eine Diagnose dafür entwickelt wird.